"So wie die Liebe zum Leben von der Natur zur Erhaltung der Person, so ist die Liebe zum Geschlecht von ihr zur Erhaltung der Art bestimmt; d.i. eine jede von beiden ist Naturzweck, unter welchem man diejenige Verknüpfung der Ursache mit einer Wirkung versteht, in welcher jene, auch ohne ihr dazu einen Verstand beizulegen, diese doch nach der Analogie mit einem solchen, also gleichsam absichtlich Menschen hervorbringend gedacht wird.
Es fragt sich nun, ob der Gebrauch des letzteren Vermögens, in Ansehung der Person selbst, die es ausübt, unter einem einschränkenden Pflichtgesetz stehe, oder ob diese, auch ohne jenen Zweck zu beabsichtigen, den Gebrauch ihrer Geschlechtseigenschaften der bloßen tierischen Lust zu widmen befugt sei, ohne damit einer Pflicht gegen sich selbst zuwider zu handeln.
In der Rechtslehre wird bewiesen, daß der Mensch sich einer anderen Person dieser Lust zugefallen, ohne besondere Einschränkung durch einen rechtlichen Vertrag, nicht bedienen könne; wo dann zwei Personen wechselseitig einander verpflichten. Hier aber ist die Frage: ob in Ansehung dieses Genusses eine Pflicht des Menschen gegen sich selbst obwalte, deren Übertretung eine Schändung (nicht bloß Abwürdigung) der Menschheit in seiner eigenen Person sei. Der Trieb zu jenem wird Fleischeslust (auch Wohllust schlechthin) genannt. Das Laster, welches dadurch erzeugt wird, heißt Unkeuschheit, die Tugend aber, in Ansehung dieser sinnlichen Antriebe, wird Keuschheit genannt, die nun hier als Pflicht des Menschen gegen sich selbst vorgestellt werden soll. Unnatürlich heißt eine Wohllust, wenn der Mensch dazu, nicht durch den wirklichen Gegenstand sondern durch die Einbildung von demselben, also zweckwidrig, ihn sich selbst schaffend, gereizt wird. Denn sie bewirkt alsdann eine Begierde wider den Zweck der Natur, und zwar einen noch wichtigern, als selbst der der Liebe zum Leben ist, weil dieser nur auf Erhaltung des Individuum, jener aber auf die der ganzen Spezies abzielt.
Daß ein solcher naturwidrige Gebrauch (also Mißbrauch) seiner Geschlechtseigenschaft eine und zwar der Sittlichkeit im höchsten Grad widerstreitende Verletzung der Pflicht wider sich selbst sei, fällt jedem, zugleich mit dem Gedanken von demselben, so fort auf, erregt eine Abkehrung von diesem Gedanken, in der Maße, daß selbst die Nennung eines solchen Lasters bei seinem eigenen Namen für unsittlich gehalten wird; welches, bei dem des Selbstmords, nicht geschieht, den man, mit allen seinen Greueln (in einer species facti) der Welt vor Augen zu legen im mindesten kein Bedenken trägt; gleich als ob der Mensch überhaupt sich beschämt fühle, einer solchen ihn selbst unter das Vieh herabwürdigenden Behandlung seiner eigenen Person fähig zu sein: so daß selbst die erlaubte (an sich freilich bloß tierische) körperliche Gemeinschaft beider Geschlechter in der ehe im gesitteten Umgange viel Feinheit veranlaßt und erfodert, um einen Schleier darüber zu werfen, wenn davon gesprochen werden soll.
Der Vernunftbeweis aber der Unzulässigkeit jenes unnatürlichen, und selbst auch des bloß unzweckmäßigen Gebrauchs seiner Geschlechtseigenschaften, als Verletzung (und zwar, was den ersteren betrifft, im höchsten Grade) der Pflicht gegen sich selbst, ist nicht so leicht geführt.
Der Beweisgrund liegt freilich darin, daß der Mensch seine Persönlichkeit dadurch (wegwerfend) aufgibt, indem er sich bloß zum Mittel der Befriedigung tierischer Triebe braucht. Aber der hohe Grad der Verletzung der Menschheit in seiner eigenen Person durch ein solches Laster in seiner Unnatürlichkeit, da es, der Form (der Gesinnung) nach, selbst das des Selbstmordes noch zu übergehen scheint, ist dabei nicht erklärt. Es sei denn, daß, da die trotzige Wegwerfung seiner selbst im letzteren, als einer Lebenslast, wenigstens nicht eine weichliche Hingebung an tierische Reize ist, sondern Mut erfordert, wo immer noch Achtung für die Menschheit in seiner eigenen Person Platz findet, jene, welche sich gänzlich der tierischen Neigung überläßt, den Menschen zur genießbaren, aber hierin doch zugleich naturwidrigen Sache, d.i. zum ekelhaften Gegenstande macht, und so aller Achtung für sich selbst beraubt." (Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten (1797) AA VI, pp. 424-425)
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